Die folgende Reportage schrieb Astrid Becher-Mayr über den Rettungsdienst des DRK-Kreisverbandes Potsdam/Zauch-Belzig e.V. und seine Lehrrettungswache in Teltow.
Kennen Sie die Situation? Sie sind im Auto unterwegs, auf einmal hören Sie ein immer lauter werdendes Martinshorn. Der Anblick eines Rettungswagens mit Blaulicht bereitet ein mulmiges Gefühl: „Hoffentlich fährt er nicht zu mir nach Hause!“
Was passiert bei einem Einsatz eigentlich genau? Wie würde es mir ergehen, wenn ich selbst einmal in eine lebensbedrohliche Situation käme?
Antworten über den Ablauf eines Rettungsdiensteinsatzes finde ich beim Roten Kreuz. Hier erfahre ich viel über den Einsatz von Rettungswagen (RTW), Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF), die Erstversorgung am Notfallort, das Zusammenspiel von Rettungsassistenten und dem Notarzt, die Hilfsfrist, die besagt, dass der Rettungsdienst innerhalb von zehn, maximal fünfzehn Minuten nach Eingang des Notrufes beim Patienten sein muss.
Nach vielen Gesprächen denke ich, das hört sich alles sehr professionell und gut organisiert an. Aber meine eigentliche Frage: wie ist das tatsächlich vor Ort, was empfindet der Patient? - Das alles bleibt irgendwie unscharf, nicht fassbar.
Auf einmal sehe ich die Trage vor mir. „Was muss ich denn jetzt machen?“, frage ich. „Sie dürfen gar nichts machen.“, bekomme ich als Antwort. „ Sie sind jetzt versorgt, wir haben Ihren Zustand stabilisiert und können Sie jetzt ins Krankenhaus transportieren.“
Vier Leute stehen um mich herum, acht Hände umfassen und heben mich vom Stuhl auf die Trage. „Eins, zwei, drei!“, hat das Kommando gelautet und schon liege ich auf ihr, werde zugedeckt, bekomme die Tropfflasche in die Hand; die Sauerstoffflasche liegt an meinen Beinen. Einer der Rettungsassistenten, Herr Hartwich, - inzwischen habe ich die kleinen Namensschildchen an den Jacken wahrgenommen – trägt den orangefarbigen, vermeintlichen Koffer, den Corpuls; denn ich bin ja nach wie vor an das Gerät angeschlossen. Überhaupt habe ich das Gefühl, von einem Meer aus Rot-Orange umgeben zu sein: alle tragen rot-orange Jacken und Hosen. Ich fühle zwei feste Gurte um meinen Nacken und die Schultern, es macht „klick“. „Werde ich etwa festgeschnallt?, frage ich. „Nein, aber angeschnallt. Sie wissen doch: im Auto herrscht Anschnallpflicht, das gilt auch für den Rettungswagen.“
Eine Tür öffnet und schließt sich. Aus dem Fahrerraum schiebt sich etwas Rot-Oranges zu mir hin. „Vielleicht doch keine schlechte Idee, diese Farbwahl inmitten des kühlen Weißes“, überlege ich. Neben mich setzt sich Herr Panter. „So, ich bleibe jetzt bei Ihnen.“, sagt er. „Dafür bin ich nämlich da. Meine Aufgabe ist es, zu Ihnen eine vertrauensvolle Beziehung inmitten all der Hektik aufzubauen, damit sie sich nicht noch mehr aufregen und merken, dass Sie nicht allein gelassen werden. Ich bin praktisch derjenige, der mit Ihnen unterginge, wenn der Wagen da vorne in den Kanal stürzen würde. Die anderen könnten sich ja retten, aber mein Platz wäre immer hier beim Patienten!“ „Wie beruhigend“, denke ich und kann mir auf einmal vorstellen, dass er dieses Vertrauen zwischen sich und dem Patienten auch tatsächlich herstellt.
Dabei entsprach Herr Panter anfänglich so gar nicht meiner Vorstellung eines Rettungsassistenten. Aber was für eine Vorstellung hatte ich eigentlich? Jedenfalls keine mit einem Rauschebart. „Rasputin“, wie ich Herrn Panter aufgrund dieses Bartes insgeheim nenne (ich hoffe, er sieht mir das nach),erzählt, dass sie im Schnitt fünf mal pro Tag einen Einsatz mit der Notärztin zusammen haben. Allerdings käme es doch häufig zu Fehleinsätzen. Grund dafür sei die Falscheinschätzung des Notrufes. Eine Ausschlag gebende Rolle spiele die Frage nach der Ansprechbarkeit. Wenn es heiße, nicht mehr ansprechbar, müssten eben Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeug ausrücken.
„Aber wie kommt es denn zu so einer Fehleinschätzung?“, frage ich. „Na, wenn, jetzt übertrieben dargestellt, die Leute sagen: `Kommen Sie schnell, unserem Opa geht es nicht gut.` `Ist er denn noch ansprechbar?`, wäre die nächste Frage der Leitstelle. Wenn es dann heißt: `Nein, überhaupt nicht mehr!`, fahren wir los. Und was finden wir vor? Einen alten Herrn, zwar aufgeregt, aber bei vollem Bewusstsein. Auf unsere Nachfrage hören wir: `Natürlich bin ich ansprechbar! Aber mit den Kindern habe ich doch Streit. Mit denen rede ich schon seit drei Jahren kein Wort mehr!`“
Der Rettungswagen springt an. Frau Doktor Lubasch, die Notärztin, setzt sich zu mir, Herr Panter rutscht einen Platz weiter, beide schnallen sich an. Die Ärztin füllt das Rettungsdienstprotokoll aus. „Da halte ich fest, wie wir Sie vorgefunden haben, und was wir mit Ihnen gemacht haben.“, erläutert sie. Ob sie immer auf den Rettungswagen umsteige, frage ich. Ja, so funktioniere dieses Rendezvous-System. „Wir treffen, aus verschiedenen Richtungen kommend, am Unfallort ein, arbeiten dann als Team zusammen und fahren gemeinsam zum Krankenhaus. Zu meinen Aufgaben gehört es, den Patienten auf dem Weg dorthin zu betreuen. Das NEF fährt also ohne mich zurück.“
Auf meine Frage, wie denn die Arbeit als Notärztin sei, antwortet sie: “Ich mach` das ja schon eine ganze Weile. Und ich kann mir zurzeit nichts Besseres vorstellen als genau diese Arbeit in diesem Team!“
Oben angekommen rollen sie mich in den „Schockraum“, eine Menge medizinisch-technischer Geräte ist um die dort wartende Liege aufgebaut und gehängt. Sie fahren mich hinein. „Wir übergeben Sie jetzt der Obhut des Krankenhauses“, erklärt die Ärztin und reicht die Papiere an die Schwester weiter.
„Jetzt könnte doch Schluss sein!“, wünsche ich mir. Aber da kommt wieder der geübte gemeinsame Händegriff und ich befinde mich auf der Krankenhausliege. Über mir hängt ein riesiger Schwenkarm mit einer Anzahl von Lampen. „Im Ernstfall würde sich jetzt eine Vielzahl von Leuten um Sie kümmern. Aber Sie, Sie dürfen jetzt wieder aufstehen!“
Mit diesen Worten entlassen mich alle aus ihrer Obhut, und ich, ich darf mich wieder aufrichten, alle Schnüre, Kabel, Klebepads lösen und abstreifen, mich auf die eigenen Beine stellen: bin nicht mehr „ihr Notfall“, sondern wieder ich selbst.
Als ich mich kurz darauf bei allen für ihre Hilfe bedanke, bin ich noch ganz benommen von den Eindrücken. Aber eins ist klar: Ich weiß jetzt, wie so ein Rettungsdiensteinsatz funktioniert. Ich habe gesehen, wie sehr der Erfolg des Einsatzes von eingespielter Teamarbeit abhängt. Und ich habe mitbekommen, dass man als Patient in dieses Team integriert wird. Die Hinwendung zum Menschen, die habe ich neben aller Professionalität auch gespürt.